Das Amt des Turmwartes war vor Jahren ein wichtiges Amt im Vorstand des Rhönklub-
weigvereins Münnerstadt, denn der Verein hat seit über 40 Jahren mit dem Jörgentor das
wohl schönste Vereinsheim aller Rhönklubs landauf und landab. Doch die Zeiten ändern
sich. Der Turm, der der Stadt gehört, ist im oberen Bereich stark sanierungsbedürftig. Ein
großes Problem für die Mitglieder sind die Treppen, klagt Egbert Haut, seit fünf Jahren
Vorsitzender des Vereins. Die meisten Mitglieder sind inzwischen um einiges jenseits von
70 Jahren und hätten bei Veranstaltungen große Probleme, die steilen und zum Teil
ausgetretenen Treppen, die in die Obergeschosse des Turms führen, zu erklimmen. Vor
Jahren gab es im Turm diverse Veranstaltungen, berichtet der Vorsitzende. "Wir haben zum
Federweißen und zur Maibowle eingeladen, aber das Interesse war nicht sehr groß", sagt er.
Heute dient der Turm noch als Lagerraum für diverse Utensilien und außerdem tagt im
Sommer, wenn es warm genug ist, der Vorstand im ersten Obergeschoss. Diesen Sommer
allerdings fanden wegen der Corona-Pandemie hier keine Sitzungen statt. Wenn es kälter
wird, trifft sich der Vorstand, wie andere Vereinsvorstände auch, in einer Gaststätte. Dieses
Vorstandszimmer war einst ein Jugendraum mit einer Werkbank, denn der Rhönklub hatte
eine aktive Jugendgruppe - "aber die sind alle erwachsen geworden". Deshalb wurde aus
diesem Jugendtraum das Sitzungszimmer für den Vorstand.
Nicht zu vergessen: Bei Heimatspiel-Aufführungen und beim "Tag des offenen Denkmals"
war der Turm geöffnet. Die Heimatspiel-Aufführungen sind in diesem Jahr sowieso
ausgefallen. Der "Tag des offenen Denkmals" fand virtuell statt, der Turm wäre dieses Jahr
dafür nicht geöffnet worden. "Im Turm ist es so eng, da kann ich mir kein sinnvolles
Hygienekonzept vorstellen. Da könnten höchstens zwei Leute auf einmal rein und das macht
keinen Sinn", betont Egbert Haut. Größere Veranstaltungen wie Hauptversammlungen fanden
schon immer in Gaststätten statt, denn dazu sind die Turm-Zimmer viel zu klein. Viel Arbeit
hat der Verein jedenfalls zurzeit mit dem Turm nicht mehr: "Im Frühling das Wasser ein- und
im Herbst wieder abstellen", schildert der Vorsitzende. Das war in früheren Zeiten ganz
anders. Im oberen Teil des fünfgeschossigen Turms, im Fachwerkbereich, hatte der
Rhönklub Übernachtungsmöglichkeiten eingerichtet, die auch gerne genutzt wurden. Im
Vorstandszimmer war die Küche, weiter oben ein Aufenthalts- und Speiseraum. Zu dieser
Zeit war der schon erwähnte Turmwart wichtig, um das alles zu organisieren.
Doch darf hier seit Jahren wegen Brandschutzauflagen der Behörden niemand mehr
übernachten, da es schwierig wäre, im Notfall jemand aus den Obergeschossen zu retten. Es
gab Diskussionen über einen Rettungsschlauch oder eine Notfalltreppe außen am Tor. In den
Hauptversammlungen des Rhönklubs wurde mehrfach darüber diskutiert, ob der Verein die
Schlüssel nicht an die Stadt zurückgeben soll. Doch bisher fand sich keine Mehrheit dafür.
"Das Jörgentor kostet uns praktisch nichts, außer Wasser und Strom, die Nebenkosten sind
also minimal. Das interessiert die Mitglieder besonders", ergänzt Egbert Haut.
Schon Ende März 2019 hatten sich einige Teile des Fachwerks gelöst und waren auf die
Straße gefallen, wodurch eine Notsicherung nötig war. Ende Oktober 2019 lautete eine
Schlagzeile in der Zeitung: "Gefahr im Verzug am Jörgentor." Fachleute hatten festgestellt,
dass viele Fachwerkbalken im oberen Bereich völlig morsch sind. Die Schäden hängen
mindestens zum Teil zusammen mit einer Sanierung aus dem Jahr 1982, als innen
zusätzliche Mauern eingefügt wurden. Deshalb ist nun eine umfangreiche und vermutlich
nicht billige Sanierung des oberen Teils Jörgentors notwendig.
Im Vorfeld dieser Arbeiten wurden die beiden oberen Etagen, in denen sich die schon lange
nicht mehr benutzten Stockbetten für die Übernachtungen befanden, ausgeräumt. Die Räume
sind nun erst einmal leer. Egbert Haut rechnet nicht damit, dass sie wieder genutzt werden.
Im April letzten Jahres berichtete die Zeitung noch, dass der damalige Bürgermeister Helmut
Blank sich wieder Übernachtungen im Jörgentor vorstellen könnte und eine Nottreppe für
denkbar halte. Dieses Thema scheint vom Tisch. Besagte Nottreppe außen am Tor wäre sehr
teuer, meint Egbert Haut, "und außerdem ist die Frage, ob der Denkmalschutz sie überhaupt
genehmigen würde". Das Kapitel Jörgentor ist für den Verein damit allerdings nicht ganz
erledigt. "Der neue Bürgermeister Michael Kastl hat nichts dagegen, dass wir drinbleiben",
meint der Vorsitzende. Bis zur nächsten Hauptversammlung werde sich hier nichts bewegen.
Warum der Verein so am Jörgentor hängt? "Die Frage ist berechtigt, aber nicht
beantwortbar", sagt er. "Da hängt für viele Mitglieder viel Herzblut drin", hatte es vor zwei
Jahren in einer Hauptversammlung der Ehrenvorsitzende Baldur Kolb ausgedrückt.
Haut verweist darauf, dass der Rhönklub mit oder ohne Turm nicht arbeitslos ist. Er kümmert
sich zum Beispiel um Wanderwege nach Bildhausen, Rottershausen, Bad Kissingen,
Bad Bocklet und Strahlungen sowie um das Fridritter Kreuz. Außerdem finden zahlreiche
Wanderungen statt. Die geplanten Ausfahrten mussten dieses Jahr allerdings wegen
Corona abgesagt werden.
Die Baugeschichte
Über die Baugeschichte ist nur wenig bekannt. Der massive, fünfgeschossige Torturm mit
einem Fachwerkaufsatz wurde nach 1508/09 erbaut. Das ergaben dendrochronologische
Untersuchungen (die Auszählung von Jahresringen des verwendeten Bauholzes). Von 1926
bis 1974 haben unzählige Jugendliche im Jörgentor übernachtet, nur nach dem Krieg wurde
es kurzzeitig als Wohnraum für Heimatvertriebene genutzt. Weil die sanitären Anlagen nicht
mehr der Zeit entsprachen und die Brandschutzvorschriften nicht eingehalten werden
konnten, schloss 1975 die Stadt das Jörgentor. 1983 bot der damalige Bürgermeister Betzer
das Tor dem Rhönklub an. Mitglieder renovierten danach den stark heruntergekommenen
Innenbereich sehr aufwendig. Am 19. Mai 1984 wurden die Räume feierlich übergeben.
Seither diente das Jörgentor als Versammlungsraum, es konnte aber auch wieder als
Übernachtungsstätte und Ort für Veranstaltungen genutzt werden. Ende 2007 wurde der
Turm wegen des fehlenden Fluchtweges im Brandfall komplett geschlossen. Nachdem einige
Auflagen erfüllt wurden, konnten der Verein den Turm nach einem Jahr wieder nutzen,
Übernachten war aber untersagt. Deshalb gab es kaum noch Nachfragen für Familienfeiern
im Turm.
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